Es fällt – schon seit einiger Zeit – schwer, einen Personalkongress zu besuchen oder ein Personalmagazin aufzuschlagen, ohne dass man mit der Digitalisierung der Arbeitswelt thematisch konfrontiert wird. Das ist auch gut so: denn neue Technologien und digitale Innovationen verändern die Arbeitswelt vielerorts tatsächlich mit großer Geschwindigkeit. Arbeit erfolgt heute zunehmend mobil, Entscheidungen basieren auf intelligenten Algorithmen, Wissen entsteht in digital-virtueller Interaktion. So ist es wenig verwunderlich, dass Unternehmen aller Größenklassen, Berater, die Medienlandschaft, die Wissenschaft und auch die Politik, allen voran das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Arbeiten 4.0 als Gesprächsthema für sich entdeckt haben.
Arbeiten 4.0 bringt sowohl für Individuen als auch für Organisationen positive Aussichten mit sich: eine bessere Integration von Privat- und Arbeitsleben, Innovationskraft und Arbeitgeberattraktivität, ein Potential für demokratischere Strukturen mit Führung auf Augenhöhe sowie Agilität und Flexibilität. Als „soziale Innovationschance“ ermöglicht die Digitalisierung damit einen erfolgreichen Umgang mit den zunehmenden Dynamiken der Arbeitswelt.
Bisher jedoch verpassen viele deutsche Unternehmen, und hier sind insbesondere die kleineren Unternehmen in traditionellen Branchen zu nennen, den Sprung auf den Digitalisierungszug. Systeme und Technologien, wie cloudbasierte Office-Lösungen und mobiles Arbeiten, werden nicht genutzt oder nicht erfolgreich in die bestehenden Arbeitspraktiken integriert und Führungskulturen nicht ausreichend, beispielsweise hinzu stärkerer Zusammenarbeit und Beteiligung, weiterentwickelt. Hinzukommen die tatsächlichen und potentiell vorhandenen negativen Auswirkungen digitaler Innovationen. So erleben viele Mitarbeiter, dass die physische Freiheit des mobilen Arbeitens (zu Hause, im Café und am Strand) mit einer ständigen Erreichbarkeit einhergehen kann, die zu psychischer Belastung und zu Beeinträchtigungen des Privatlebens führen können. Zudem kann es zu einer tatsächlichen oder gefühlten Überforderung der Mitarbeiter durch neue digitale Technologien kommen und die Möglichkeiten einer (nicht offensichtlichen) Überwachung und Kontrolle der Mitarbeiter steigen.
Insgesamt muss das Motto deshalb lauten: Negative Auswirkungen der Digitalisierung vermeiden, die Chancen hingegen zu nutzen. Hierfür ist ein komplexer und bei aller Agilität systematischer Veränderungsprozess notwendig, in dem sich Entscheider in Unternehmen folgende Fragen stellen sollten:
- Was bedeutet Digitalisierung für das Arbeiten in unserem Unternehmen?
Entscheider in Organisationen stehen, ähnlich wie Wissenschaftler und andere gesellschaftliche Akteure, derzeit vor der Frage, was „Digitalisierung der Arbeitswelt“ bedeutet und welche Facetten, Dimensionen und Bereiche hiervon betroffen sind. Die Antwort mündet in einem multidimensionalen Atlas der Digitalisierung.
- Wie digital ist die Arbeit in unserem Unternehmen?
Für eine fokussierte und gewinnbringende Transformation benötigen Entscheider in Organisationen Wissen darüber, wo die eigene Organisation aktuell steht. Kenntnis über den Status-Quo ermöglicht es Unternehmen, die Gestaltung der Transformation an den aktuellen Gegebenheiten der Organisation anzusetzen. Dies gelingt, indem die Dimensionen der Digitalisierung in einem Digitalisierungsindex gemessen werden.
- Wie digital soll unsere Arbeitswelt im Unternehmen werden?
Über die Kenntnis des Status quo hinaus, ist es für Entscheider von hoher Bedeutung, eine Vorstellung des angestrebten Zustands der unternehmensspezifischen digitalen Arbeitswelt zu haben. Wie soll die digitale Arbeitswelt im Unternehmen künftig aussehen? Hierzu ist der Digitalisierungsindex in einen Digitalisierungskompass zu wandeln, der die zentralen Stoßrichtungen der Digitalisierung der Arbeitswelt vorgibt.
- Wie erreichen wir systematisch und zielgerichtet die Digitalisierung der Arbeitswelt?
Erst wenn der Ist-Zustand und der angestrebte Zielzustand bekannt sind, können Entscheider in Organisationen die Frage beantworten, wie ausgehend von der aktuellen Situation der Organisation durch ein aktives Veränderungsmanagement den angestrebten Zielzustand erreichen können. Dies ist Grundlage für eine unternehmensspezifisch adäquate Transformationsagenda.
Insgesamt ist also auch für eine gelungene Digitalisierung der Arbeitswelt ein systematisches und unternehmensspezifisches Vorgehen notwendig. Die unreflektierte Übernahme von Standardlösungen größerer oder vermeintlich reiferer Wettbewerber führt nur durch Zufall zum Ziel.
Autor: Prof. Dr. Stephan Kaiser
Inhaber des Lehrstuhls für Personalmanagement und Organisation
Universität der Bundeswehr München Neubiberg
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