„…Was hat HR mit der verdammten digitalen Transformation zu tun, verdammt nochmal?…“ So die Überschrift in einer Blogparade, die vor einem Jahr im Forum „humanresourcesmanager.de“ gestartet wurde. Die Überschrift lässt eine gewisse Gereiztheit vermuten. Wenngleich die Fragestellung etwas naiv ist, ist die Gereiztheit doch nachvollziehbar. Auf der Suche nach konkreten Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und die Personalarbeit bleibt Vieles an der Oberfläche, plakativ beschrieben und mit Widersprüchen übersät. Und das „Lästige“ daran: Als Personaler wird man die Themen, die personalseitig angegangen werden müssen, nicht auf dem Silbertablett serviert bekommen. Erstens sind die Auswirkungen der Digitalisierung branchenspezifisch verschieden. Es gibt daher keine Einheitsrezepte. Und zweitens sind den Ingenieuren, Technikern und IT-Experten, welche sich mit den neuen Chancen der Digitalisierung befassen, die Auswirkungen auf die HR-Arbeit nicht bewusst oder auch von untergeordneter Priorität.
Dem Personaler bleibt also nichts anderes übrig, als sich selbst auf dem Weg zu machen, um sich seine Handlungsfelder zu erarbeiten. Gefordert sind hier insbesondere HR Business Partner, Personalentwickler und Prozessexperten in den Dienstleistungscentern. Letztere, weil sich natürlich auch interne HR-Prozesse weiter digitalisieren lassen. Hier ist in den letzten 10 Jahren in den Unternehmen schon viel geschehen. Manche stehen aber noch am Anfang.
Für HR Business Partner und Personalentwickler liegen die Handlungserfordernisse auf fast allen Feldern der HR-Management-Prozesse und HR-Kernprozesse.
Grundsätzlich sind drei Schritte erforderlich:
1. „Schlau machen“: Personaler müssen sich mit den verschiedenen Aspekten, die sich unter dem Dach der Digitalisierung sammeln, vertraut machen. Was beinhaltet Industrie 4.0, was versteht man unter Internet der Dienste oder dem Internet der Dinge, wie spielen Big Data, Embedded Computing, mobiles Internet und Cloud Computing zusammen?
Es gibt dazu zahlreiches Info-Material, z.B. durch den VDMA, VDI, auf den diversen Internetseiten der Software-Unternehmen wie z.B. SAP, Software AG; Cancom, GFT oder von Vorreiter-Unternehmen. Dazu zählt u.a. die SEW-Eurodrive aus Bruchsal, die auf ihren Seiten sehr informatives Material bereit hält und auch einen Einblick in ihre „Schaufensterfabrik 4.0“ gewährt. Wer bisher konkrete Beispiele vermisst hat, dem wird hier ein Bild der zukünftigen Fabrik vermittelt.
Die besten Informationsquellen sind natürlich die Linienmanager in der Forschung und Entwicklung, der Produktion oder in den IT-Bereichen.
2. Potenziell relevante Auswirkungen beschreiben: Wie schon erwähnt sind die Auswirkungen branchenspezifisch sehr unterschiedlich. Bei Banken und Versicherungen arbeitet man z.B. an neuen Interaktionsprozessen mit Kunden und Interessenten, in der industriellen Fertigung wird es modular aufgebaute „smart factories“ geben, als Fabriken in der Fabrik.
Was hat das mit HR zu tun? Menschen, Dinge, Prozesse, Dienste, Daten sind vernetzt. Natürlich wird es daher möglich sein, die Leistungserbringung eines Menschen genauer zu kontrollieren und zu bewerten. Das ist eine Frage, wie mit den Daten umgegangen wird. Produkte werden sich selbst durch die Produktion steuern. Der Mensch wird durch Assistenzsysteme unterstützt, körperlich entlastet und nimmt mehr dispositive Tätigkeiten wahr. Es wird zu Personalfreisetzungen kommen, ungeachtet politisch motivierter Verharmlosungsversuche. Autonome Fabrikeinheiten zeichnen sich durch eine flache Hierarchie aus, können sich selbst organisieren und selbst optimieren. Möglicherweise braucht es keine Abteilungsleiter oder andere Hierarchie-Ebenen mehr. Die „lernende Organisation“ wird heute durch die technologischen Möglichkeiten getriggert. Der Produktionsmitarbeiter entwickelt sich vom Maschinenführer zum flexiblen Operateur 4.0. Wenige Leiter von Montageeinheiten werden sich zu „Dirigenten der Wertschöpfung“ (siehe White Paper, SEW) entwickeln, die mehrere Produktionslinien steuern. Ihnen wird es, durch eine vorausschauende Auftragssimulation möglich sein, unternehmerische Entscheidungen über Kundenaufträge und deren Kosten zu verantworten. Über eine Außenvernetzung (z.B. zwischen Kunden und Lieferanten) und dem Internet werden dezentrales Wissen und Kompetenzen verfügbar sein, was wiederum die kommunikativen Kompetenzen von Menschen in den Vordergrund rückt. Dies alles ist keine Vision mehr, sondern bereits Realität.
3. Handlungsfelder für HR ableiten: Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie dringend der Handlungsbedarf für HR ist.
Quantitative und qualitative Personalplanung: Es wird zu Personalfreisetzungen kommen. Bei der konkreten Umstellung eines Produktionssystems in einem Unternehmen reduzierte sich die Zahl von 12 auf nur noch 4 Mitarbeiter. Die potenziellen Einsparungen betreffen in einem Fertigungsunternehmen sehr stark innerbetriebliche Logistikfunktionen, wirken sich aber auch auf die Verwaltung und Buchhaltung aus, die mit der Produktion vernetzt wird. Viele Linienmanager werden sich heute noch nicht in der Lage sehen, verlässliche Zahlen zu prognostizieren. Die Zahlen werden jedoch mit der Anzahl von Pilotprojekten genauer werden. Für HR Business Partner und Personalentwickler gleichermaßen interessant, ist die Frage nach den zukünftigen Anforderungsprofilen. Wen braucht man, mit welcher Qualifikation, in welcher Anzahl? Es wird ganz neue Anforderungsprofile geben, wie z.B. Experten für Big Data. Viele Mitarbeiter werden weiter qualifiziert werden können, z.B. auf den Qualifikationsstand eines Produktionstechnologen, dessen Berufsbild in den letzten Jahren entwickelt wurde, welches jedoch von Ausbildungsabteilungen noch wenig genutzt und angeboten wird. Und es wird zu strukturellen Veränderungen kommen. Tendenziell werden z.B. Fertigungsunternehmen mehr Softwareentwickler beschäftigen als Maschinenbauer.
Recruiting: Was in der Personalplanung geplant wird kommt u.a. im Recruiting zur Umsetzung. Doch wo finden sich die Software-Entwickler oder Experten für Big Data, wenn der Bedarf steigt und schon bisher Engpässe bestanden? Möglicherweise wird man im Personal-Marketing kreative Wege gehen müssen, z.B, ein gezieltes Auftreten an Hochschulen mit internationalen Studiengängen. IT-Experten finden sich nicht nur an IT-Lehrstühlen sondern auch in Studiengängen für Internationales Management.
Personalentwicklung: Personalentwickler sind auf verschiedenen Ebenen gefordert. Sowohl bei den Veränderungsprozessen als Ganzes, als in der Teamentwicklung, als auch in der Aus- und Weiterbildung. Vielfach wird betont, dass Deutschland auf die Vorteile der Dualen Ausbildung setzen könne, wenn es um die Umsetzung von Industrie 4.0 geht. Dennoch wird es Anstrengungen kosten, Menschen mit zu nehmen, sie weiter zu qualifizieren und neue Prozesse einüben zu lassen. Produktionstechnologen werden bei weitem noch nicht in dem erforderlichen Maß ausgebildet, wie dies notwendig wäre. In der Weiterbildung sind Kenntnisse der digitalen Basistechnologien aufzunehmen.
Team- und Organisationsentwicklung: Wenn sich Arbeitsprozesse grundlegend verändern, wenn Mitarbeiter erleben, dass Teams sich neu formieren, der eine oder andere eventuell gar nicht mehr an Bord ist, wenn sie erleben, dass ein bisheriger Kollege qualifiziert wurde und zukünftig das Sagen hat und es den alten Abteilungsleiter gar nicht mehr gibt, wenn sie erleben, dass sich die ganze Arbeitsumgebung verändert und neues Lernen erforderlich wird, dann sind das Veränderungsprozesse, die es in sich haben. Der Erfolg der digitalen Revolution wird davon abhängen, wie weit es gelingt, die Menschen vorzubereiten und sie mit zu nehmen. HR Business Partner und Personalentwickler sind hier in ihrer Rolle als Veränderungsgestalter und Moderatoren gefordert, geplante Veränderungen frühzeitig in die richtige Richtung zu lenken.
Leistungsmanagement: Einen SFU-Leiter (Leiter einer small factory unit), der eine small factory mit drei verketteten Produktionslinien steuert, dessen Aufgaben- und Kompetenzprofil wird man in dem Jahrhundertwerk „ERA“ nicht finden. 20 Jahre hat man gebraucht, um den einheitlichen Entgeltrahmen-Tarifvertrag 2003 in der Elektro- und Metallindustrie zu verabschieden. Heute zeichnet sich ab, dass man die definierte Bewertungssystematik, Jobfamilien und Entgeltgruppen nochmals überdenken und anpassen muss.
Ein weiteres HR-Thema wird sich in der Leistungsmessung darstellen. Diese wird durch das Datenhandling viel transparenter und genauer möglich sein. Wird man diese Kontrollmöglichkeiten nutzen wollen, wenn andererseits durch Verflachung der Hierarchien, mehr Verantwortung und größeren Gestaltungsspielräumen, eine Vertrauenskultur postuliert wird?
Die genannten Handlungsfelder sind bei weitem nicht vollständig. Sie machen aber deutlich, was HR mit der „verdammten digitalen Transformation“ zu tun hat.
Autor: Hans-Juergen Krieg
Geschäftsführer / Inhaber: Strategie-Wirkstatt