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Wir sind nicht bereit für die neue Welt

10. April 2018 - Arbeitswelt der Zukunft, Soziales Engagement
Wir sind nicht bereit für die neue Welt

Früher war sicherlich nicht alles besser, aber das Leben war langsamer und entspannter. Beschleunigung ist das Stichwort im digitalen Zeitalter. Alles wird schneller. Informationen, Geschäftsdaten, Angebote, Auftragsbestätigungen etc. stehen unmittelbar, per Knopfdruck, zur Verfügung. Auch im Geschäftsleben hat sich eine Erwartungshaltung etabliert, der sich keiner entziehen kann. Sehr schnell haben sich die Möglichkeiten der neuen Techniken in unser Denken und Handeln etabliert. Wir alle erwarten, dass aufgrund einer von uns initiierten Aktion am gleichen oder nächsten Tag eine Reaktion erfolgt. Schöne neue, stressige, digitale Welt.

Und die nächsten Quantensprünge stehen unmittelbar bevor. Künstliche Intelligenz wird unser Leben erneut gravierend verändern. Diese Veränderungen werden mindestens genauso mächtig sein, wie die Einführung des Internets. Roboter werden einfache, aber auch hoch komplexe Aufgaben übernehmen. Mit Vernetzungstechniken lassen sich sowohl einfache Geräte wie Kühlschränke, Licht oder Heizungen steuern, als auch aufwändige Techniken wie Roboter und selbstfahrende Autos. Die Maschinen werden untereinander kommunizieren, sie lernen eigenständig und werden sich selbst verbessern. Wer glaubt, das sind Hirngespinste oder weit entfernte Szenarien, hat nicht begriffen was aktuell passiert. Die Beschleunigung wird ungeahnte Ausmaße annehmen. Der Mensch kommt mit seiner eigenen Innovation nicht mehr mit.

Viele Menschen sind bereits jetzt überfordert und fühlen sich abgehängt. Existenzängste und soziale Ungerechtigkeiten machen sich breit. Die Politiker der aktuellen Stunde sind ebenfalls extrem überfordert. Auch sie werden vom rasanten Tempo der Digitalisierung überrollt und werden das Steuer nicht mehr herumreißen können. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten. Beim Einsammeln der Scherben, nach dem großen Chaos, gibt es noch Gestaltungsspielraum.

Wir werden auf eine Gesellschaft zusteuern, in der es viele alte Menschen und sehr viele Menschen ohne Arbeit geben wird. Die Schere zwischen Arme und Reiche wird noch größer, wobei nur wenige Menschen davon profitieren werden. Das Rentensystem in Deutschland wird kollabieren, da dann über 10 Millionen Menschen ohne Arbeit sein werden. Ein Heer von Rentnern steuert zusätzlich in die Altersarmut. Die Politik wird die Weichen für eine neue Gesellschaftsform nicht rechtzeitig stellen. Es fehlt der Wille und die Bereitschaft, eine radikale Neuverteilung des Reichtums vorzunehmen. Für die vielen Millionen Arbeitslosen und mittellosen Rentner wird es zunächst keine wirtschaftliche Unabhängigkeit geben.

Aktuell haben wir aufgrund von gefühlten Ungerechtigkeiten und der Flüchtlingskrise massive Ausschläge zum rechtsextremen Gedankengut. Da die Wirtschaft jedoch boomt, die Auswirkungen der Digitalisierung erst am Anfang stehen und die Regierung vermehrt Positionen besetzt, die dem Denkmuster vieler Menschen entgegenkommt, wird es im Wahlmonat September keine großen Überraschungen geben. Die Freude währt jedoch nur kurz. Was wird passieren, wenn die Auswirkungen der Robotik und Digitalisierung greifen und die Arbeitslosigkeit nie da gewesene Höhen erreicht? Wenn bestehendes Rentenrecht von heute auf morgen geändert wird und die Renten erneut drastisch gekürzt werden? Wenn die sozialen Ungerechtigkeiten die Gesellschaft unwiderruflich spalten?

Der weltweite wirtschaftliche Aufschwung in den goldenen Zwanziger Jahren wird sich 100 Jahre später nicht wiederholen. Im Gegenteil, die neuen 20er Jahre werden trüb und dunkel. Nach einer kurzen Verschnaufpause wird die Trumpisierung in den neuen 20er Jahren wie ein Flächenbrand um sich greifen. Ziel wird es sein, bestehende Strukturen in Politik und Gesellschaft zu zerstören. Vermutlich werden Chaos, soziale Unruhen und an sich denkende Menschen die Demokratie in ihrer derzeitigen Form zu Fall bringen. Postfaktische Politik wird in Europa die Oberhand gewinnen. Eine Prognose über die weitere Entwicklung wird schwierig. Vermutlich werden irgendwann die Reichen enteignet, die Umverteilung wird beim Volk ankommen und die Errungenschaften der Demokratie werden sich erneut durchsetzen und den Spuk beenden – so Gott will. Dann gibt es auch wieder Gestaltungsspielräume für neue Gesellschaftsformen und für die Arbeitswelt der Zukunft.

Und wie agieren die Unternehmen in diesem Szenario? Bedeutet hohe Arbeitslosigkeit, dass man wieder einen Goldfischteich an Talenten hat, aus dem man bei Bedarf schöpfen kann? Weit gefehlt. Die Mitarbeiter der neuen 20er Jahre sind Spezialisten und Fachkräfte, die u.a. eine hohe Änderungsbereitschaft mitbringen. Diese Mitarbeiter sind rar und werden zukünftig noch intensiver umworben. Sie bewerben sich nicht bei den Unternehmen, die Unternehmen bewerben sich bei den potentiellen Mitarbeitern. Gute Mitarbeiterbindungsprogramme und eine positive, überzeugende Arbeitgebermarke (Employer Branding) werden zukünftig noch intensiver zum Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen beitragen. Unternehmensbotschafter, die über eine überzeugende Reputation verfügen, können den entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen. Persoployer Branding bedeutet, den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens durch die Reputation der Person (CEO, Vorstand o.ä.) und die Anerkennung als Experte und Meinungsführer zu festigen und auszubauen. Der gezielte und gesteuerte Aufbau solcher Brandings wird dazu beitragen, dass manche Unternehmen die Nase vorne haben.

Viele Unternehmen werden, aufgrund der tiefgreifenden Automatisierung und der damit verbundenen Robotik, Massenentlassungen durchführen müssen. Das Thema Massenentlassungen ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass es sehr viele Branchen treffen wird und dass es in Bezug auf Arbeitsplätze keinen späteren Aufschwung geben wird. Die wegfallenden Arbeitsplätze und Berufe werden nicht wiederkommen. Die Unternehmen haben somit zukünftig eine sehr hohe soziale Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und gegenüber den Menschen, die keine Arbeit haben. Sie müssen somit zwangsläufig neue Ziele verfolgen. Gewinnmaximierung weicht dem Ziel, eine neue Gesellschaftsform zu unterstützen. Diese Erkenntnisse im Management zu verankern, wird schwer zu realisieren sein und wird vermutlich auch erst möglich sein, wenn die Scherben der sozialen Unruhen zusammengefegt werden. Oder aber, die dann bevollmächtigte Politik wird den Rahmen vorgeben, was ich für wahrscheinlicher halte.

Unternehmen, die sich bereits heute mit ihrer sozialen Verantwortung gegenüber der zukünftigen Gesellschaft auseinandersetzen und Modelle und Optionen prüfen, ggf. sogar schon in Teilbereichen handeln, werden von der Gesellschaft positiv wahrgenommen. Tue Gutes und rede darüber ist nicht verwerflich. Ganz im Gegenteil, das Branding von sozial engagierten Unternehmen wird im Goldfischteich der Unternehmen (aus Sicht der Fachkräfte), zu Wettbewerbsvorteilen führen. Und hier hat auch der Mittelstand sehr gute Karten. Unternehmen, die ein weitsichtiges und anpassungsfähiges Management haben, werden ihren Betrieb in den rauen 20er Jahre gut manövrieren und in den 30er Jahren sehr erfolgreich sein.

Autor: Wolfgang Witt, Arbeitswelt der Zukunft